Herbert Schwarz: Nie vergessen, nie verstehen
Ist es um uns geschehen
Was wird passieren
Wohin sollen wir jetzt gehen
Wie sollen wir existieren
Wer gestern noch mein Freund war
Ist heut mein Feind
Der liebe Nachbar
Mit dem Hakenkreuz erscheint
Bestohlen und ausgehoben
Der Tempel brennt
Mein Vater abgeschoben
Von uns getrennt
In einem Blechbehälter
Kehrt er Heim
Anbei sein ausgestellter
Totenschein
Zehn kalte Nächte fuhr ich
Im Viehtransport
Die Schienen führten mich
An einen fremden Ort
So viele sind verhungert
Am Weg erfroren
Haben mit dem Tod gerungen
Hilflos verloren
So unbegreiflich sinnlos
Unvorstellbar
Wie die Vernichtung
An der Tagesordnung war
Die Angst und die Verzweiflung
Und so viel Hass
All diese Schreckensbilder
Sind nie mehr verblasst
Keiner kann sagen
All das wird nicht mehr geschehen
Denn heute weiß ich
Morgen kann der Wind sich drehen
Ich hab so viel erlitten
So viel gesehen
Ich werde nie vergessen
Und nie verstehen
Vom Ghetto bis ins Lager
Der Kopf geschoren
Mein Körper abgemagert
Und halb erfroren
Zu schwerster Sklavenarbeit
Zwangsinterniert
Mit einer Nummer auf den
Körper tätowiert
Wie Tiere ausgemustert
Ich hab gesehen
Wie all die Todgeweihten
Durch den Schornstein gehen
Verbrannt vor meinen Augen
Alles tut weh
Deren Asche fiel auf mich herab
Wie grauer Schnee
Es gab nicht eine Regel
Nicht ein Gesetz
Es fielen so viele ungezielt
Dem Tod ins Netz
So wurd’ ich meiner Eltern
Brutal beraubt
Zahllose Menschenleben
Zerfielen zu Staub
So unbegreiflich sinnlos
Unvorstellbar
Wie die Vernichtung
An der Tagesordnung war
Die Angst und die Verzweiflung
Und so viel Hass
All diese Schreckensbilder
Sind nie mehr verblasst
Keiner kann sagen
All das wird nicht mehr geschehen
Denn heute weiß ich
Morgen kann der Wind sich drehen
Ich hab zu viel erlitten
Zu viel gesehen
Um jemals zu vergessen
Und zu verstehen
Helga Kinsky: Theresienklang
Leise stirbt die Invention
Verhallt der letzte Ton
Erklingt im toten Raum
Die stumme Melodie
Der stillen Symphonie
Leise brennt die Partitur
Verendet die Kultur
Es fehlt der letzte Akt
Die Stücke fallen aus
Dem Takt
Lautlos leidet das Motiv
Nur der Tod bleibt kreativ
Erschafft eine Kadenz
Des dumpfen Elends
Für immer unvergessen
Unsterblich jung
Die Künstler leben ewig in Erinnerung
Die Melodien, die Rhythmen
Und der Gesang
Erklingen im Gedenken an
Theresienklang
Schnell, der Rhythmuszug hält an
Die Musiker sind dran
Wo bleibt nur das Fagott
Die Quinten sind gereiht
Das Requiem macht frei
Statisch klingt die Variation
Erstickt im Kammerton
Der Atem ist verbraucht
Die letzte Stimme aus
Gehaucht
Nur die Arie ist zu hören
Stolz begleitet von den Chören
Ein Echo aus Gewalt
Das ewig nachhallt
Für immer unvergessen
Unsterblich jung
Die Kunst lebt ewig weiter in Erinnerung
Die Melodien, die Rhythmen
Und der Gesang
Für alle Zeit ein Denkmal an
Theresienklang
Gideon Eckhaus: Unwiedergutmachbar
Das Blut ist vergossen
Die Asche verteilt
Die Wunden des Krieges
Sind niemals verheilt
Es gibt keinen Ausgleich
Für Mord und Pogrom
Es hilft keine Sühne
Es gibt keine Kompensation
Kein mahnendes Denkmal
Macht Schuld ungeschehen
Wer selbst nicht dabei war
Wird niemals verstehen
Man kann die Verbrechen
Durch nichts revidieren
Und muss den brutalen Genozid
Als geschehen akzeptieren
Man kann nicht entschädigen
Nicht reparieren
Was einst gewesen ist
Darf nie mehr passieren
Unwiedergutmachbar
Nicht zu verzeihen
Man kann sich nie
Von der Schuld seiner Taten
Durch Reue
Und schlechtem Gewissen befreien
Unwiedergutmachbar
Geschehen ist geschehen
Man muss den Weg in die Zukunft
Mit offenen Augen
Und Blick aufs Gewesene gehen
Wie soll man vergüten
Was einmalig war
Jeder Mensch ist für sich
Unersetzbar
Die Zeit heilt die Schmerzen
Aus der Agonie
Verjährt sind die Tränen
Doch trocknen werde sie nie
Man darf die Vergangenheit
Nicht ignorieren
Und keine Facette
Des Bösen negieren
Es wurden so viele
Des Lebens bestohlen
Der Lauf der Geschichte
Darf sich nicht nochmal
Wiederholen
Lucia Heilman: Unsichtbar
Ich durfte nicht raus
Und mich nicht mehr rühren
Tagein tagaus
Hinter verschlossenen Türen
Kein Weinen, kein Flehen
Kein Winden und Drehen
Ließ Kummer und Einsamkeit
Schneller vergehen
So trieb ich dahin
Verlassen und leer
Alleine wie ein U-Boot
Im offenen Meer
Umgeben von Tod
Verfolgung und Not
Von Wellen des Hasses bedroht
Lebendig begraben in meinem Versteck
So nah war die Freiheit
Und doch so weit weg
Denn rund um mich
Herrschte nur Leid und Gefahr
So zogen der Tod und das Leben
Vorbei denn ich war Unsichtbar
In einem Verschlag
Verzweifelt verharrt
So blieb mir der Weg
Durch den Schornstein erspart
Inmitten des Wahns
Des Ausrottungsplans
Stand ich still und leise im Auge des Orkans
Der Kindheit beraubt
Verstört und verstummt
Die Trümmer eines U-Boots am Meeresgrund
War untergetaucht
Und alles klang dumpf
Um mich herum nur brauner Sumpf
Ich war nicht zu sehen
Ich war nicht zu hören
Die Leere begann meinen Geist zu zerstören
Vollends isoliert
So wie ausradiert
Als hätte ich nie existiert
Das Leid überlebt
Beseelt und befreit
Zum ersten Mal Kind sein seit so langer Zeit
Josef Albin: Not kennt kein Gebot
Als Kämpfer für die Freiheit
Mit der Waffe in der Hand
Verschrieb mich der Vergeltung
Und nahm Teil am Widerstand
Verschanzte mich mit meinen Kameraden
Tief im Wald
Und überraschte die Faschisten
Aus dem Hinterhalt
In fremder Uniform getarnt
Den Nazis auf der Spur
Als Antwort auf das Leid
Das meinem Volke widerfuhr
Gemeinsam mit den treuen Genossen
Schwor ich unter Eid
Erbarmungslose Rache
Für brutale Grausamkeit
Im Kampf
Als Partisan
Hab ich es Aug um Aug und Zahn um Zahn
Den Feinden gleichgetan
Ich kämpfte Blut für Blut
Und Tod für Tod
Denn Not
Kennt kein Gebot
Zum Abschuss freigegeben
Und gebrandmarkt als Bandit
Als Saboteur im Untergrund
Auf feindlichem Gebiet
So habe ich mein Leben
Der Gerechtigkeit geweiht
Und fand in der Vergeltung
Meine Zugehörigkeit
Für die Vernichtungslager
Für die Folter und den Mord
Für jeden der zum sterben fuhr
In einem Viehtransport
Schwor ich gemeinsam mit den treuen Genossen
Unter Eid
Erbarmungslose Rache
Für brutale Grausamkeit
Eva Fahidi: Gilike bleibt ein Kind
Grausam getrieben aus dem Viehwaggon
Gewaltsam zur Rampe hin zur Selektion
In einer Sekunde, in einem Moment
Für alle Zeit von meiner Schwester getrennt
Einsam, isoliert, aus der Welt
Nur auf mich ganz allein gestellt
Nur eine Bewegung von Mengeles Hand
Und Gilike wurde vergast und verbrannt
Im Arm meiner Mutter mit zarten elf Jahren
Werd ich sie für immer im Herzen bewahren
Einsam, ausgelöscht aus der Welt
Als ein Stern, der die Nacht erhellt
Seh sie gnadenlos zugrunde gehen
Hör sie weinend um ihr Leben flehen
All die Jahre ziehen dahin
Doch während meine Zeit verrinnt
Bleibt Gilike ein Kind
In Fünfer-Reihen auf den Appellplatz gejagt
Täglich von Angst und Verzweiflung geplagt
Der Sumpf ist vergiftet, verseucht und verschmutzt
Als Friedhof für Gilikes Asche genutzt
Einsam, ausgelöscht aus der Welt
Wie ein Stern der zu Staub zerfällt
Die Erinnerung zieht nie vorbei
An die Tränen und das Wehgeschrei
All die Jahre ziehen dahin
Doch während meine Zeit verrinnt
Bleibt Gilike ein Kind
Seh sie gnadenlos zugrunde gehen
Hör sie weinend um ihr Leben flehen
All die Jahre sind gezählt
Von der Einsamkeit gequält
Denn Gilike fehlt
Herbert & Kitty Schrott: Anderssein
Auf und davon
Ohne Ziel
In die Ferne, ins Exil
Alles fort
Nur was bleibt
Ist die Heimatlosigkeit
Gnadenlos
Delogiert
Und ins Lager deportiert
Kurzer Hand
Über Nacht
Zu Gefangenen gemacht
Sind geprägt
Durch das Leid
Der Unzugehörigkeit
Eingebrannt ist die Zeit
Der Unmenschlichkeit
Gemeinsam verschieden
Als anders vereint
Als Fremde vertrieben
Geächtet als Feind
Der Hölle entflohen
Überlebt und befreit
Doch die Emotion
Des „sich anders fühlen“ bleibt
Gleichgültig wie
Und wohin
Aus den Augen, aus dem Sinn
Anders ist
Ein Tabu
Und gehört nie ganz dazu
Schonungslos
Diffamiert
Kollektiv diskriminiert
Eingesperrt
Ausgemerzt
Durch das goldene Wiener Herz
Als abnorm
Deklariert
Lebenslang traumatisiert
Nie erholt
Aus der Zeit
Der Unmenschlichkeit
Gemeinsam verschieden
Im Glauben vereint
Als Fremde vertrieben
Geächtet als Feind
Der Hölle entflohen
Überlebt und befreit
Vom Tode verschont
Doch das Anderssein bleibt
Der Spott und der Hohn
Des Pöbels Beifall und Applaus
Um das zu beschreiben
Reicht Sprache nicht aus
Gemeinsam verschieden
Als anders vereint
Als Fremde vertrieben
Geächtet als Feind
Der Hölle entflohen
Überlebt und befreit
Doch die Emotion
Des „sich anders fühlen“ bleibt
Alfred Schreier: Als Kind zum Mann
Bereits als Kind diskriminiert
Für meinen Glauben diffamiert
Von meinen Mitschülern verhasst
Und auf dem Schulweg abgepasst
Die Nachbarn haben uns bestohlen
Und uns beschimpft mit Hassparolen
Im Keller wurden wir verhört
Unser Besitz wurde zerstört
Die Schule war mir nun verwehrt
Der Rektor hatte mich belehrt
Mit dem schon mir bekannten Satz:
„Für Juden gibts hier keinen Platz“
Und selbst mein Bruder mit fünf Jahren
Hat schon Erniedrigung erfahren
Vom Kindergarten fortgejagt
Der Rassenschande angeklagt
Die Zeit des Krieges brach herein
Voller Elend, voller Pein
Angsterfüllt und hoffnungslos
Ohne Zukunft, ohne Trost
Mein Vater wurde deportiert
Und ins Lager interniert
Alles was mir lieb war wurde arisiert
Ins Verderben reingeboren
Meine Kindheit war verloren
Mit der Todesangst allein
Musst ich schnell erwachsen sein
Auf der Flucht wuchs ich heran
Passte mich dem Schicksal an
So wurd ich noch als Kind zum Mann
Nach Italien fortgesandt
In ein entferntes Dorf verbannt
Doch von den Bürgern wurden wir
Liebenswürdig akzeptiert
War in Gefangenschaft befreit
Erfuhr seit langem Menschlichkeit
So wuchs ich im Exil heran
Auf meinem Weg vom Kind zum Mann
Mit dreizehn Jahren war ich bereit
Zur religiösen Mündigkeit
Die Wachmannschaft hat weggesehen
Und ließ mich fort zum Tempel gehen
Ganz alleine, ohne Geld
Hab mich dem weiten Weg gestellt
Die Kindheit lag schon weit zurück
Zur Reife fehlte nur ein Stück
Die Synagoge war gefüllt
Als ich in mein Tallit gehüllt
Nach vorne zum Rabbiner ging
Um mir zu legen die Tefillin
Hoch gefeiert und geehrt
Seit so langem unbeschwert
Bin ich als Mann
Zurück nach Hause heimgekehrt
All die Tränen, all das Leid
All die Ungerechtigkeit
Haben mich wie über Nacht
Viel zu früh zum Mann gemacht
Auf der Flucht wuchs ich heran
Passte mich dem Schicksal an
Und wurde noch als Kind zum Mann
Marco Feingold: Man war ja nirgendwo dabei
Keiner hat was bemerkt
Niemand hat gesehen
Wie die Hakenkreuzfahnen
Durchs Lande wehen
Niemand war bei Enteignungen je dabei
All die Wohnungen waren nur durch Zufall frei
Und keiner war so wirklich schuld
Man hatte keine Wahl
Der gelbe Stern, das Reichspogrom
Der Massenmord, und all die Hassparolen
Das wurde nur befohlen
Doch all das ist geschehen
Es lässt sich nicht verdrehen
Nicht bagatellisieren,
Verheimlichen, verharmlosen
Und einfach ignorieren
Die Menschenquälerei, die Arbeiterpartei
Die gab es zwar
Doch man war ja nirgendwo dabei
In den Lagern geschlagen
Und kahl geschoren
All die Würde der Menschlichkeit
Ging verloren
Abgemagert, misshandelt
Dem Tod geweiht
Waren verurteilt wie Sklaven
Zu Schwerstarbeit
Doch keiner hat davon gewusst
Oder dafür gestimmt
Unbedarft, das treue Volk
Unverhofft vom Führer überrollt
Das war so nicht gewollt
Und doch ist es passiert
Vom Reich legitimiert
Und keinen hats gestört
Die Leute haben tugendhaft
Auf Göbbels Ruf gehört
Die Menschenquälerei
Den Hass, die Barbarei
Das gab es zwar
Doch man war ja nirgendwo dabei
Als ein Zeuge der Zeit
Beispielloser Grausamkeit
Widersetz mich Verleugnung
Und Unwahrheit
Wie schon damals
Wird heute noch gerne weggesehen
Anstatt einzugestehen
Das alles ist geschehen
Es lässt sich nicht verdrehen
Nicht bagatellisieren
Verheimlichen, verharmlosen
Und einfach ignorieren
Der Mord, die Barbarei
Die Arbeiterpartei
Die gab es zwar
Doch man war ja nirgendwo dabei
Es lässt sich nicht negieren
Nicht bagatellisieren
Verheimlichen, verharmlosen
Und einfach ignorieren
Die Menschenquälerei, die Judenmetzelei
Die dunkle Zeit des Holocaust
Und alle waren dabei
David Rubin: Wieder nie wieder
Still wird gedacht
Eine Tafel angebracht
Man legt einen Kranz
Kultiviert Toleranz
Wie über Nacht
Alter Hass neu entfacht
Es bricht wie Kristall
Die Vernunft, die Moral
Zwei Schritte vor
Und ein Schritt zurück
Das Land Stück für Stück
Ins rechte Licht gerückt
Schon wieder „nie wieder“ ins Denkmal graviert
Schon wieder „nie wieder“ an Schulen rezitiert
Schon wieder „nie wieder“ ans Volk appelliert
Schon wieder „nie wieder“ als Norm definiert
Doch wieder und wieder wird Hass akzeptiert
Schon wieder zwei Achten auf Wände geschmiert
Schon wieder die Worte des Führers zitiert
Schon wieder wird wider „nie wieder“ agiert
Laut wird marschiert
Gegen Hetze demonstriert
Ein Ruf und ein Schreien
Gegen rechte Parteien
Doch fremd bleibt Tabu
Und gehört nie ganz dazu
Verbannt, konzentriert
Und zum Feind deklariert
Angst als Motiv
Fürs Schuldkollektiv
Es hebt sich die Hand
Getreu fürs Abendland
Das Volk ist vergiftet, mit Hass infiziert
Schon wieder das erste Symptom ignoriert
In Teile zerspalten und manipuliert
Getäuscht und geblendet von rechts infiltriert
Schon wieder „nie wieder“ ins Denkmal graviert
Schon wieder „nie wieder“ an Schulen rezitiert
Schon wieder „nie wieder“ ans Volk appelliert
Schon wieder „nie wieder“ als Norm definiert
Doch wieder wird vorsätzlich Angst generiert
Schon wieder mit Hetze und Hass kokettiert
Schon wieder vorm starken Mann kapituliert
Und wieder wird wider „nie wieder“ agiert
Denn morgen war gestern, es schließt sich der Kreis
Die „Werte-Gesellschaft“ aufs Neue entgleist
Noch während sich Freiheit als Täuschung erweist
Zahlen Würde und Anstand aufs Neue den Preis
Doch wieder und wieder wird Hass akzeptiert
Das Grauen der Geschichte relativiert
Die Lehren der Vergangenheit schlicht ignoriert
Schon wieder wird wider nie wieder regiert
Franz Szczepanski: Coda
Meine Erzählung möchte ich mit den ersten Worten des Gebetes beenden. (….)
Es ist dieses Gebet welches mir beigebracht wurde, als ich ein kleiner Junge war.
Ich wünsche Euch allen und Euren Kindern und Kindeskindern ein glückliches und langes Leben in Frieden. Shalom.